Streuobst für alle
Warum der Streuobstbestand gefährdet ist

(08.09.23) München - Streuobstwiesen und von Obstbäumen gesäumte Alleen gehörten bis in die 1960ger Jahre zur Kulturlandschaft in Bayern. Ein Bild, das selten geworden ist. Die Streuobstbestände sind auf der Roten Liste der Biotoptypen sogar als „stark gefährdet“ eingestuft. Betrachtet man die Historie unserer Obstbaumkultur wird deutlich, warum.

Schon in der Steinzeit stand Wildobst auf dem Speiseplan der Menschen. Die Kultivierung von Obstbäumen war allerdings erst in der Antike im Zweistromland und Persien üblich, wie Überlieferung zeigen. Als die Griechen 331 die Herrschaft in Persien übernahmen, erwarben sie auch das Wissen um deren Obstbau. Die Römer brachten die ersten veredelten Obstsorten nach Mitteleuropa.

Klöster kultivieren den Obstanbau

Katholische Orden trieben im frühen Mittelalter den Acker- Gemüse und Obstbau zur Eigenversorgung voran. Mit der Entstehung der Klöster in Europa wurde auch das Wissen um den Obstanbau weitergegeben. Die Ernte diente der Selbstversorgung städtischer und bäuerlicher Haushalte. Auch weltliche Herrscher wie Kaiser Friedrich Barbarossa oder Karl der Große förderten den Obstanbau, um die Nahrungsversorgung der Bevölkerung zu sichern. Nach dem dreißigjährigen Kriege (1618-1648) wird die Pomologie (=die Obstbaumkunde) ständig weiterentwickelt.

Streuobstanbau seit der Jahrhundertwende

Mit dem Ansteigen der Bevölkerung in den Städten und Dörfern im Mittelalter und während der Industrialisierung entwickelt sich der erwerbsmäßige Obstanbau. Es entstehen die Streuobstwiesen, wie wir sie heute kennen. Gärten mit „gestreut“ gepflanzten hochstämmigen Obstbäume gehen also auf das ausgehende 19. bzw. beginnende 20. Jahrhundert zurück. Zu dieser Zeit sind sowohl Anbauflächen als Anzahl und Sorten auf einem Höhepunkt, der einige Jahrzehnte anhalten wird. Doch mit steigendem Wohlstand und mehr Importen aus dem Ausland nimmt der Bedarf an Streuobst ab.

Rückgang der Streuobstwiesen

Der Rückgang der Nachfrage setzt vor allem um 1920 ein. Damals beschloss die Deutsche Obstbaugesellschaft das „unübersichtliche Kernobstsortiment“ von Äpfeln und Birnen auf jeweils drei Sorten zu beschränken. Die Abkehr vom „Obstbau in Streulage“ findet ihre Fortsetzung Anfang 1950: Das Bundesernährungsministerium empfahl im „Emser Beschluss“ den Baumschulen nur noch Nieder- und Halbstämme heranzuziehen. Die Ernte mit Hochstämmen galt als zu mühsam und zeitintensiv. In der Folge verdrängte der Plantagenanbau den Streuobstanbau.

Verändertes Konsumverhalten

Für den Rückgang der Streuobstbestände sei neben der fehlenden Bewirtschaftung häufig auch die Ausdehnung des Siedlungsgebietes verantwortlich, erklärt Streuobstexperte Thomas Weltner, Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG). Er sieht aber auch im veränderten Konsumverhalten einen Grund für den Rückgang: „Heute haben sich viele Konsumenten an tadellos aussehendes, immer verfügbares, frisches Obst aus Supermärkten und Discountern zu niedrigen Preisen gewöhnt. In der Folge hat Wert und Wertschätzung des heimischen Obstes gelitten und daher auch der Unterhalt und die Pflege unserer Streuobstwiesen stark nachgelassen.“

Situation in Bayern
Angesichts der Bedeutung von Streuobstwiesen für die Biodiversität und die bayerische Kulturlandschaft wird der Rückgang der Streuobstbestände in Bayern als dramatisch eingestuft. Jährlich verschwinden im Freistaat geschätzt von 5-6 Millionen etwa 100.000 Streuobstbäume. Insgesamt sind seit der letzten Erhebung im Jahr 1965 circa 70 Prozent der Streuobstflächen verloren gegangen, so Stefan Kilian vom Institut für Agrarökologie und Biologischen Landbau an der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Mit dem Verschwinden von Streuobstwiesen ist auch wertvoller Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten in Gefahr. Umso wichtiger ist deshalb der im Jahr 2021 verabschiedete Bayerische Streuobstpakt oder Förderungsprogramme wie zum Beispiel „Streuobst für alle“. Im Rahmen des Streuobstpaktes wird darüber hinaus an der bayernweiten Erfassung der Streuobstbestände über Fernerkundung gearbeitet.
Initiativen zur Rettung der Streuobstbestände
Doch wie lässt sich der Rückgang stoppen? Neben zahlreichen privaten Initiativen wurden Aktionen wie der Bayerischen Streuobstpakt der Bayerischen Staatsregierung geschaffen. Mit Unterstützung von acht engagierten Verbänden sieht der Pakt die Erhaltung und Mehrung der bayerischen Streuobstbestände vor. Bis 2035 sollen so zusätzlich 1 Millionen Bäume gepflanzt werden. „Durch den Streuobstpakt werden wieder aktiv Bäume gepflanzt und gepflegt“, so Thomas Weltner. „Es ist ein neuer Wind in der Szene und erste Fortschritte sind bereits auf vielen Ebenen zu verzeichnen.“
Förderung durch Profitabilität
Die Zukunft der Streuobstbestände hat neben der ökologischen Bedeutung auch eine wirtschaftliche. Außer der Anpassung an die Produktionstechnik sind vor allem auch bessere Vermarktungskonzepte notwendig. Die LWG sieht eine Möglichkeit der Förderung von Streuobstbeständen vor allem durch Profitabilität. Es gäbe bereits vereinzelt erfolgreiche Betriebe und Strukturen. „Diese Erfolgsmodelle wollen wir in die Breite tragen“, so Thomas Weltner. „Zurzeit wird Streuobst vor allem als Saft über Keltereien vermarktet. Wir sehen hier im Vertragsanbau mit länger laufenden Abnahmeverträgen große Möglichkeiten. Dies ist sowohl für die Keltereien als auch für die Bewirtschafter nützlich, schafft Planungssicherheit und Perspektiven und ist daher Inhalt eines Projektes. Weiterhin werden zusätzlich neue Vermarktungsmöglichkeiten gesucht und an die Branche vermittelt. Neben Saft könnte Streuobst wie in anderen Ländern auch - und einstmals bei uns - als Wein vermarktet werden. Wir sehen hier vor allem im prickelndem Cidre oder Cider großes Potenzial.“

Dass bei der Förderung von Streuobstwiesen der Aspekt des Klimawandels von Bedeutung ist, zeigt auch das Forschungsprojekt „Streuobst Sortenwahl im Zeichen des Klimawandels“ von Thomas Weltner: „Vor allem im sommerlich trocken-heißen Norden spüren wir bereits massiv die Auswirkungen des weiter voranschreitenden Klimawandels. Da unsere Bäume über längere Zeiträume stehen, müssen wir heute schon Jahrzehnte im Voraus denken. Dies ist eine gewaltige Aufgabe, die uns noch lange beschäftigen und uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellen wird.“