Bedrohte Kulturlandschaft

(9. Oktober 2023) - Der Pfaffenwinkel im Alpenvorland ist mit seinen Seen, Hügeln, Wiesen und Wäldern eine bayerische Postkartenidylle. Die Region zwischen Lech und Loisach gehört zu den bedeutsamsten Kulturlandschaften im Freistaat. Der Landschaftshistoriker Ludwig Bertle lebt dort seit vielen Jahren und erklärt, warum diese einzigartige Landschaft verändernden Einflüssen ausgesetzt ist.

Wie ein Gemälde präsentiert sich das hügelige Jungmoränengebiet des Pfaffenwinkels im Landkreis Weilheim-Schongau. Neben den landschaftlichen Schönheiten sind es auch die kunsthistorisch bedeutsamen Kirchen, Klöster und Bauernhäuser, die den Reiz der Gegend ausmachen. Dort ist der Erlebnispädagoge und Landschaftshistoriker Ludwig Bertle zu Hause. Der begeisterte Bergsteiger und Bergführer kam als junger Lehrer nach Peißenberg. Im nahegelegenen Eglfing fand er mit seiner Familie ein neues Zuhause. „Man konnte bereits damals feststellen, dass sich die heimische Kulturlandschaft in erstaunlichem Tempo zu ihrem Nachteil veränderte“, erinnert sich Ludwig Bertle. „Schon damals war mir klar, dass ich mich für den Erhalt dieser Kulturlandschaft einsetzen muss.“

Mit der Gründung des Vereins für Gartenbau und Landschaftspflege durch eine kleine Gruppe von Engagierten gab es in Eglfing auch wieder einen Gartenbauverein, der sich um die lokale Landschaft, Vegetation oder Biotope kümmerte, erzählt Ludwig Bertle. Die Wiederbelebung dieses Vereins war auch der Wegbereiter für die Dorferneuerung zwischen 2003 und 2016. „Projekte wie die Renaturierungen des Tautinger Weihers oder des Hungerbachs, der Bau des Naturerlebnisspielplatz oder große Pflanzaktionen hätten wir ohne die Dorferneuerung mit Unterstützung des Amtes für Ländliche Entwicklung (ALE) Oberbayern nicht realisieren können.“

Was eine bedeutsame Kulturlandschaft ausmacht, sei schwierig zu definieren, meint Ludwig Bertle. Sie sei etwas Dynamisches und werde im positiven wie im negativen Sinne durch den Menschen geprägt und verändert. Letztendlich gehe es aber darum, ein landschaftliches Erbe zu bewahren, dass sich im ästhetischen wie auch ökologischen Sinne bewährt habe.

Bewahren des kulturellen Erbes
Ein Gesamtplan für den Erhalt der Kulturlandschaft zu erstellen, ist nach Einschätzung von Ludwig Bertle praktisch unmöglich. Ein Planungsbüro könne zwar einen großräumigen Plan für die Pflanzung von Flurbäumen, Hecken, etc. festlegen, doch würde dem ein Großteil der Grundbesitzer widersprechen. Seiner Erfahrung nach lässt sich die bedrohte Kulturlandschaft nur in vielen Einzel-, ja Trippelschritten mit einem Gesamtplan im Hinterkopf verteidigen. „Dabei muss man sehr geduldig warten können bis die Zeit reif ist, bis Grundeigentümer zustimmen oder ein Hagelunwetter unübersehbare Schäden anrichtet“. Für Ludwig Bertle sind Projekte wie Dorferneuerung oder konkrete Förderprogramme als Argumentationshilfe sehr hilfreich. „Schon allein deshalb, um größere Maßnahmen zum Erhalt der Kulturlandschaft stemmen zu können.“ Es sei daher begrüßenswert, dass die Bayerische Staatsregierung durch Renaturierungsprojekte bis 2030 ein Drittel der Moore wieder herstellen möchte. „Aber auch Programme wie ,FlurNatur‘, setzen das richtige Zeichen“, sagt Ludwig Bertle. „Dadurch konnten mit finanzieller Unterstützung des ALE in der Eglfinger Flur 216 Bäume gepflanzt werden.“
Was eine Kulturlandschaft ausmacht
Bei der Frage, was die Kulturlandschaft im Pfaffenwinkel ausmacht, geht Ludwig Bertle in die jüngste Eiszeit zurück: „Geomorphologisch betrachtet ist unsere Gegend durch Gletscher aus den Zentralalpen entstanden. Der Loisachgletscher bahnte sich seinen Weg bis ins Alpenvorland hinein. Unter dem schon bestehenden Molasseuntergrund aus Sedimentsgesteinen entstanden die bayerischen Seen, wie z.B. der Staffelsee. An den Rändern der Gletscherzungen lagerte sich Geröll ab und bildeten Moränenwälle. Aus all dem entwickelt sich diese typisch wellig-hügelige Landschaft, die der Mensch vor allem durch Ackerbau und Weidewirtschaft prägte. Inmitten dieser Flur spenden im Sommer einzel stehende Bäume, vorwiegend Eichen, mit ihren ausladenden Kronen Mensch und Tier gleichermaßen Schatten. Aber auch die Alleebäume an den Straßen und die Hecken und Gehölze entlang der Feldwege gehören zu dieser Kulturlandschaft.“

Einzigartig in der Region sind auch die vielen Altwässer, Hochmoore und Feuchtwiesen mit ihrer spezifischen Flora und Fauna. Bekannte Beispiele sind das Murnauer und Weilheimer Moos. Sie entstanden beim Rückzug des Gletschers und der späteren Verlandung des Gebiets, so Ludwig Bertle. Teil dieser Kulturlandschaft seien aber auch die originalen Bauernhäuser, Kirchen und öffentlichen Gebäude aus dem gelblich-grauen Tuffstein. Der leichte und poröse Baustein wurde im benachbarten Huglfing abgebaut. Als regionaler Baustoff spiele er heute keine Rolle mehr.
Gefahren für das Landschaftsbild
Die Nutzungsinteressen und Einflüsse, der die Kulturlandschaft ausgesetzt ist, sind vielschichtig: Tourismus, intensive Landwirtschaft und Flächenfraß durch Gewerbegebiete, Wohnungs- und Verkehrswegebau setzen der Landschaft zu. Als Sohn eines Landwirts aus dem benachbarten Ostallgäu kennt Ludwig Bertle diese Interessen, weiß aber auch um die Sensibilität der Bergregion und des Voralpenlandes. „Die Einheimischen kennen den ästhetischen Wert ihrer Landschaft und der Flurbäume sehr wohl“, sagt Ludwig Bertle. Für die Bauern sei es ein Abwägungsprozess zwischen Ästhetik, Praktikabilität und Kosten. Und im Zweifel gehe dies auf Kosten der Ästhetik, auch wenn bei einigen Landwirten schon ein Umdenken einsetzt habe. Deutlich werde dies bei den Flurbäumen. Für viele Bauern stellen sie bei der Maschinenbewirtschaftung eher ein Hindernis dar. Insbesondere wenn auf den Weiden großflächige Monokulturen entstehen. Dabei werden häufig ökologisch wertvolle Flurbäume, Hecken und Gehölze geopfert. Zunehmend verschwinden auch Blumen- und Streuobstwiesen als Teil der Kulturlandschaft. Heute gäbe es kaum mehr Grasflächen mit einer Vielzahl an Pflanzenarten, betont Ludwig Bertle. „Silowirtschaft, Maisanbau, viele Schnitte pro Jahr, ertragreiche Grassorten tendieren in der heimischen Grünlandbewirtschaftung zur Monokultur. Also das Gegenteil von blühenden Wiesen und Diversität. Und an der Pflanzenvielfalt hingen die Lebensräume der Insekten, Vögel, Amphibien, Kleintiere.“

Abgesehen vom Flächenfraß führt er dies vor allem auf die sich verändernde Landwirtschaft zurück. „Während es früher viele kleinere Betriebe gab, sind es heute weniger, aber deutlich größere. Diese siedeln in die Fläche, legen Flächen zusammen, roden dabei Hindernisse wie Hecken und Gehölze, lösen Zäune und damit natürliche Blühstreifen auf. Einzelbäume, die absterben oder im Sturm fallen, werden außerdem selten nach gepflanzt.“ Aber auch die Trockenlegung von Mooren zur landwirtschaftlichen Nutzung ließ bereits einen großen Teil der ökologisch wertvollen Feuchtflächen in unserer Region verschwinden, sehr zum Bedauern von Ludwig Bertle. Damit ginge ein Großteil der spezifischen Flora und Fauna solcher Naturräume verloren.
Umgestaltung der Landschaft
Das Bewahren der Kulturlandschaft in Einklang mit anderen Nutzungsinteressen zu bringen, muss sich nicht immer ausschließen, ist Ludwig Bertle überzeugt. Vielmehr könne man das auch mit einer schonenden Anpassung an die Landschaft erreichen. Um auf landwirtschaftliche Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, könnte man z.B. bei Neupflanzungen die Bäume als Grenzbäume auch an den Rand setzen, statt wie üblich in die Mitte der Flur. Für das Landschaftsbild sei es gleichgültig, ob der Baum am Rande oder in der Mitte der Weiden steht. „Durch die kleinteilige Struktur der Eglfinger Flur haben wir viele potenzielle Plätze für Grenzbäume“. Mit Umgestaltung meint Ludwig Bertle aber auch, dass man z.B. Hecken und Gehölze als „Windbremse“ und Lebensraum für Insekten und Vögel neu anlegt. Hecken, Gehölze und Bäume ließen sich ebenfalls entlang von Feldwegen pflanzen. Zustimmung finden Pflanzmaßnamen aber nur, wenn sie keine spürbaren Einbußen an Wirtschaftsfläche und Maschinenbedienung bedeuten, so seine Erfahrung. „Solche Maßnahmen der Umgestaltung würden die bestehende Kulturlandschaft vorsichtig erneuern. Im Gesamtbild könnte sie aber ökologisch und ästhetisch die gleiche Wirkung erzeugen!“
Bürgerschaftliches Engagement
Wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist, zeige sich aber vor allem auch bei der Dorferneuerung. Dazu gehören die ALE mit ihren Fördermöglichkeiten, ihren Ideen und Erfahrungen vergleichbarer Verfahren in der Dorferneuerung, so der pensionierte Lehrer. „Aber auch die engagierten Bürger sind wichtig mit ihren Ideen und Ortskenntnissen, die der Außenstehende nicht hat“. Mit 75 Jahren denkt Ludwig Bertle nicht ans Aufhören. Er mischt sich immer noch ein, ob in der Vorstandschaft des Gartenbauvereins, als Lehr- und Krautackerbeauftragter , oder beim Deutschen Alpenverein (DAV) als Mitglied des Lehrteams für Umweltbildung. Schlecht ginge es ihm nur, wenn er nur noch lesen dürfte, was andere machen. Oder versäumen. Das mag man sich bei einem wie Ludwig Bertle nicht vorstellen.

Fotos: Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern, Abdruck honorarfrei